Insider-Talk: 20 Jahre als Grafikerin bei Kastner & Öhler
Ein Gespräch über Schriftfamilien, die Arbeit mit der Reißfeder und Desktop-Publishing
Seit Jänner 1998 arbeitet Gabriele als Grafikerin in der Marketingabteilung von Kastner & Öhler. Sie erinnert sich, dass ihre zahlreichen vorherigen Jobs in Wiener Werbeagenturen der Anstellung bei K&Ö fast im Wege gestanden wären. In der Großstadt war es üblich, dass man sich als junge Grafikerin nach etwa einem Jahr wieder in einer neuen Agentur bewarb, um das persönliche Portfolio zu erweitern und Fähigkeiten zu sammeln. In Graz dagegen fürchtete man, es könnte sich bei Gabriele um einen unsteten Geist handeln. Der anfänglichen Skepsis zum Trotz arbeitet meine Kollegin nun seit 20 Jahren für nur eine Firma – und das ist Kastner & Öhler.
Von der Kunst des Schönschreibens
In ihrer Ausbildung lernte sie noch, mit Reißfeder und Tusche Buchstaben in feinster Detailarbeit auf Papier zu zeichnen. „Kalligrafie ist die Kunst des ‚Schönschreibens‘ von Hand mit Federkiel, Pinsel, Filzstift oder anderen Schreibwerkzeugen. Hier lernt der Grafiker Unterlängen und Mittelhöhen einzuhalten, denn von der Höhe der Buchstaben hängt die Schriftgestaltung ab. Sie bildet sozusagen die Vorgabe für die Entwicklung einer neuen Schrift. Die Kalligrafie steht im Gegensatz zur Typografie, dem Schriftsatz“, erklärt mir Gabriele, und ich staune, denn mit dem Tätigkeitsfeld einer heutigen Grafikerin hat das kaum mehr zu tun.
Von Schriftfamilien, Unternehmensfarben und Logos
Trotzdem ist dieses Wissen wichtig, um Schriften einer Schriftfamilie zuordnen zu können. Das Hauptunterscheidungsmerkmal bildet der Querstrich an den Buchstaben – die sogenannte Serife. Somit lässt sich unterscheiden zwischen Serifenschriften und Schriften ohne Serifen. Die bekannteste unter den Serifenschriften ist wohl die Times, die in vielen gedruckten Publikationen zur Anwendung kommt. Blogs dagegen – wie dieser hier – bevorzugen meist serifenlose Schriften wie Helvetica oder Arial. „Dieses Wissen ist wichtig für meine Arbeit, denn die richtige Wahl einer Schrift bildet die Grundlage des Corporate Designs für ein Unternehmen. Jede Schrift hat einen eigenen Charakter und kann einzigartig für den Auftritt des Unternehmens sein“, weiß Gabriele.
Der Stil einer Marke zeigt sich in offensichtlichen Elementen des Außenauftrittes, wie der Unternehmensfarbe und der verwendeten Schrift. So auch beim 2017 erneuerten Logo von Kastner & Öhler. Die Anpassungen werden zwar unbewusst von Kunden wahrgenommen, lösen aber das vertraute Gefühl aus, das sie mit der Marke verbinden. In unserem Fall wollen wir als inspirierender Treffpunkt für Stilbewusste in Österreich ein femininer und hochwertiger Begleiter in Rot sein. Das K&Ö-Logo wirkt nach dem Relaunch weicher, freundlicher und inspirierender.
Der Arbeitsablauf einer Grafikerin
Am Anfang ihrer Arbeit als junge Grafikerin in Wien musste sie für Auftraggeber erst eine Reinzeichnung fertigen. Die benötigte Textmenge wurde geschätzt und bei damaligen Satzstudios bestellt. Nach einem halben Tag Wartezeit erhielt man einen Bogen Fotopapier mit dem gewünschten Text, schnitt diesen aus und klebte ihn auf eine Kartonvorlage. Fotokopien der gewünschten Bildformate wurden als Platzhalter auf den Bogen geklebt, denn die Originalbilder druckte erst die Druckerei. Darüber lag ein Bogen Transparentpapier mit Anweisungen für die Druckerei. Für manche Auftraggeber reichte eine Filzstift-Skizze oder eine Airbrush-Zeichnung – eine Illustration, die nach Freigabe sofort in Druck ging, ohne dass eine Reinzeichnung gefertigt werden musste.
Mit Mac zum Desktop-Publishing
Was in den 1990er-Jahren aus Kostengründen nur dem Abteilungsleiter oder auch Chef einer Werbeagentur möglich war, steht nun jedem Printmedien-Designer zur Verfügung: der Mac! Vor 20 Jahren hat es mehrere Stunden oder auch einen ganzen Tag gedauert, um ein fertiges Werbematerial zu gestalten. Heute geht das alles in kurzer Zeit am Mac.